Zusammenfassung
Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben als digitale Nomaden – arbeiten, wo andere Urlaub machen. Portugal erfreut sich dabei besonders großer Beliebtheit. Ein mildes Klima, schöne Strände, lebendige Städte und eine wachsende internationale Community machen das Land zu einem Hotspot für Remote-Arbeitende aus aller Welt.
In diesem Erfahrungsbericht, basierend auf Recherchen und Eindrücken von Redakteurinnen und Redakteuren des Spiegel, werfen wir einen tiefgehenden Blick auf den Alltag von ortsunabhängigen Berufstätigen in Portugal. Welche Chancen bietet das Land? Welche Herausforderungen stellen sich – vor allem rechtlicher und bürokratischer Natur? Und wie wirkt sich diese Entwicklung auf die portugiesische Gesellschaft aus?
Der Bericht nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch Co-Working-Spaces in Lissabon, Cafés in Porto und Surfstrände in Ericeira. Gleichzeitig beleuchten wir die juristischen Stolpersteine, denen Remote-Arbeitende und Arbeitgeber begegnen – etwa bei Steuern, Sozialversicherung oder Arbeitsrecht. Auch die Perspektive der Einheimischen kommt nicht zu kurz: Wie empfinden sie den „Run auf Portugal“ durch gutverdienende internationale Freelancer?
Portugal – das neue Mekka für digitale Nomaden
Lissabon, Porto, Lagos, Madeira – portugiesische Orte wie diese haben sich in den letzten Jahren zu Lieblingszielen für sogenannte Remote Worker entwickelt. Gründe dafür gibt es viele. Das Klima ist angenehm, die Lebenshaltungskosten (noch) geringer als in vielen west- und mitteleuropäischen Ländern, das Internet ist zuverlässig, die Infrastruktur gut ausgebaut. Die Bürokratie? Naja, dazu später mehr.
Was Portugal besonders attraktiv macht, ist die Kombination aus leistungsfähigen Co-Working-Spaces, einer offenen Community und einer digitalen Verwaltung, die zumindest in puncto Anmeldung und Kommunikation in den meisten Fällen auch in Englisch funktioniert. Viele Städte bieten spezielle Angebote für digitale Nomaden, etwa vergünstigte Arbeitsplätze, Meetups oder Visalösungen für Langzeitaufenthalte.
Beruf und Atlantik – ein neuer Alltag
Die Spiegel-Redaktion hat über mehrere Monate hinweg mit Remote-Arbeitenden in Portugal gesprochen. Viele von ihnen kommen aus der Tech-Branche, dem Marketingbereich oder sind selbständig tätig. Das Bild, das sich ergibt, ist facettenreich.
Ein Beispiel ist Jana, 32, UX-Designerin aus Hamburg. Seit sechs Monaten lebt sie in Lissabon. Ihr Tag beginnt mit einem schnellen Espresso im Straßencafé, gefolgt von einem Coworking-Tag in einem stylischen Büro in Alfama. Abends geht es hinunter an den Tejo oder mit dem Bus zum Yoga ans Meer. „Ich fühle mich produktiver als je zuvor“, sagt sie.
Mehr Flexibilität, mehr Sonne, aber auch: mehr Verantwortung. Denn wer außerhalb seines Heimatlandes arbeitet, trägt auch rechtliche und steuerliche Konsequenzen. Und nicht alle Arbeitgeber sind begeistert, wenn Mitarbeitende die Landesgrenzen verlassen – sei es aus haftungsrechtlichen Gründen, wegen Datenschutzbedenken oder steuerlicher Risiken.
Steuern, Recht und Residency – die unbekannten Fallen
Was Anfangs romantisch klingt – „Ich arbeite einfach von Portugal aus!“ – verwandelt sich schnell in ein bürokratisches Puzzle. Arbeitet man weiterhin für ein in Deutschland ansässiges Unternehmen, entsteht meist eine sogenannte steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Mehrstaatenproblematik.
Die wichtigsten Herausforderungen lassen sich wie folgt skizzieren:
1. **Steuerrechtliche Ansässigkeit**
Portugal wird bereits nach 183 Tagen zum steuerlichen Hauptwohnsitz – es besteht also eine Verpflichtung, in Portugal Steuern auf das Welteinkommen zu zahlen. Wer in dieser Zeit weiterhin in Deutschland versicherungspflichtig ist oder Einkünfte dort bezieht, muss doppelt prüfen.
2. **Sozialversicherung und A1-Bescheinigung**
Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass der Arbeitnehmende weiterhin korrekt sozialversichert ist. Eine A1-Bescheinigung dokumentiert die Zugehörigkeit zur Sozialversicherung eines EU-Landes trotz Arbeit im Ausland. Ohne sie drohen Bußgelder bei Kontrollen, etwa durch portugiesische Behörden.
3. **Remote Work Policy aus Unternehmenssicht**
Viele deutsche Firmen haben (noch) keine klaren Policies für Work-from-anywhere. Das bedeutet Unsicherheit für beide Seiten. Unternehmen müssen Fragen der Arbeitssicherheit, Haftung, Datenschutz und Equipmentbereitstellung klären.
4. **Arbeitnehmerstatus in Portugal**
Arbeitet jemand dauerhaft in Portugal, könnte dieser als lokaler Arbeitnehmer gelten – mit allen Pflichten für den Arbeitgeber, zum Beispiel Registrierung, Steuerabfuhr und Einhaltung portugiesischer Arbeitsgesetze.
Diese rechtlichen Aspekte sind komplex und viele Unternehmen scheuen den Mehraufwand. Für Selbstständige ist die Situation oft etwas einfacher – allerdings droht auch hier schnell ein Steuerdschungel, wenn Leistungen etwa für deutsche, portugiesische oder internationale Kunden erbracht werden.
Digital Nomad Visa – Portugals Reaktion auf den Trend
Portugal hat den Boom früh erkannt und reagiert. Seit Oktober 2022 bietet das Land ein offizielles „Digital Nomad Visa“ (das sogenannte D7- oder Remote Work Visa), das es Bürgerinnen und Bürgern aus Nicht-EU-Staaten ermöglicht, bis zu einem Jahr legal in Portugal zu arbeiten – bei Nachweis von Einkünften über dem portugiesischen Mindestlohn.
Für EU-Bürgerinnen und Bürger ist die Lage einfacher – sie dürfen sich bis zu drei Monate ohne besondere Aufenthaltsgenehmigung im Land aufhalten und Remote arbeiten. Danach ist eine Anmeldung bei der lokalen Stadtverwaltung nötig („residência“). Auch hier sollten jedoch steuerliche Konsequenzen überprüft werden.
Co-Working, Community und Lifestyle
Wer in Portugal remote arbeitet, ist längst nicht mehr allein. In Lissabon gibt es Dutzende moderner Co-Working-Spaces – von hip bis minimalistisch. Cowork Central oder Outsite in der Hauptstadt bieten eigene Communitys, Events und Netzwerkmöglichkeiten.
In Porto trifft man sich in „CRU Cowork“ oder „Selina Navis CoWork“, etwas legerer, aber nicht weniger professionell. Und in Orten wie Ericeira, wo Surfen und Arbeiten Hand in Hand gehen, entstehen ständig neue hybride Lebensmodelle – morgens Calls, nachmittags Wellenreiten.
Diese Communitystruktur erleichtert nicht nur berufliches Arbeiten, sondern fördert auch sozialen Anschluss. Viele Remote-Arbeitende berichten, dass sie in Portugal ein Stück Lebensqualität zurückgewinnen, das im klassischen Büroalltag oft verloren geht.
Die andere Seite der Medaille – Auswirkungen auf die Einheimischen
So positiv der Trend für viele individuelle Lebensentwürfe ist – er hat auch Schattenseiten. Für die portugiesische Gesellschaft bedeutet der Anstieg an gut verdienenden internationalen Remote Workers: steigende Mieten, überlaufene Viertel und die Sorge vor Gentrifizierung.
Gerade in Lissabon sind die Mietpreise in den letzten Jahren drastisch gestiegen – teilweise um mehr als 60 Prozent. Einheimische finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum, während Altbauten zu Airbnb-Apartments oder Co-Living-Spaces umgebaut werden. Die Regierung reagierte mit Mietpreisdeckeln und Begrenzungen für Ferienvermietung in bestimmten Bezirken – mit mäßigem Erfolg.
Der soziale Dialog über diese Entwicklung ist in vollem Gange. Digitale Nomaden und Expats werden zunehmend dazu aufgerufen, sich ihrer Wirkung auf die lokale Kultur bewusst zu werden – etwa durch die Unterstützung lokaler Anbieter oder durch freiwilliges soziales Engagement.
Fazit: Zwischen Sehnsucht und Struktur
Remote-Arbeiten in Portugal – das klingt nach Freiheit, Sonne und kreativen Arbeitsmöglichkeiten. Und in vielen Fällen ist es das auch. Wer sich jedoch langfristig in diesem Land niederlassen will, sollte die juristischen, steuerlichen und gesellschaftlichen Begleiterscheinungen nicht ignorieren.
Die Zukunft der Arbeit ist hybrid und global – doch sie benötigt Strukturen. Portugals Regierung hat erste sinnvolle Maßnahmen ergriffen, um ortsunabhängiges Arbeiten zu fördern, gleichzeitig aber die Interessen der einheimischen Bevölkerung zu schützen.
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heißt das: Gute Planung ist alles. Ein spontaner Tapetenwechsel kann inspirierend sein, sollte aber stets mit rechtlicher Beratung und unter Einbeziehung des Arbeitgebers erfolgen. Nur dann wird Portugal wirklich zum Ort beruflicher Erfüllung und nicht zur Bürokratiefalle.
Und letztlich bleibt trotzdem eines wahr: Arbeiten mit Blick aufs Meer ist und bleibt ein Privileg – eines, das sich mit Verantwortung, Weitsicht und Respekt gestalten lässt.